Es ist die letzten Monate viel los gewesen. Violetta und ich mussten uns von einem Onkel verabschieden. Eine traurige Sache. Mit unter kommt es einem komisch vor, dass die Welt sich immer so hübsch weiterdreht. Aber sie ist ja auch bloß ein Lava-Klumpen mit Kruste. Sie kann nichts dafür. ... Wie auch immer, ... Die Sommerferien kamen ungewöhnlich schnell angedüst. Da Violetta deshalb ziemlich viel unterwegs ist, unter anderem um Mrs Plumcake einen Besuch abzustatten, gebe ich mal einer ganz anderen Geschichte Raum. Sie hat sogar einen eigenen Titel bekommen. ... Für all die Menschen, die meist genau wissen, wann er zu benutzen ist, aber manchmal länger als Ihnen gut tut, zögern, es auch zu tun.
Der
Schirm
Es ist
schon seltsam. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Das
kann durchaus befreiend sein. Aber es ist auch beängstigend. Denn
wenn man weiß, dass man nichts weiß, fühlt man sich mit unter
verloren in tausenden von Möglichkeiten. Wie um alles in der Welt
soll man richtig wählen, wenn man von Nichts eine Ahnung hat?!
Das ist
das Dilemma in dem ich mich gerade befinde.
Eine
große dicke Wolke hat sich über mir festgehangen, wartet darauf,
auf mich niederzuregnen und ich beginne beinah schon, mich für die
kalte Nässe zu bedauern, die mir droht.
Wobei
sich in mir leiser Widerstand regt, denn meine Finger tasten langsam
nach dem Knauf in meiner Tasche. Ja, ich habe ihn dabei. Es gibt ihn,
den Regenschirm, der mich vor durchgeweichten Klamotten bewahren
kann.
Habe
ich auch den Mut, ihn zu benutzen?
Will
ich das überhaupt?
Immerhin
könnte es ja sein, dass mich jemand besonders bedauernswert findet,
mit den triefenden Haaren und den tropfenden Kleidern. Dann winkt
mich diese Person möglicherweise heran, lädt mich ein, mich im Haus
etwas aufzuwärmen und ich verbringe die nächsten Stunden wohlig
eingehüllt vor dem Kaminfeuer.
Nur
sagt mir eine innere Stimme, dass an dieser Vision etwas faul ist.
Wer
will schon freiwillig nass werden? … Das ist ein bisschen krank,
finde ich. -
Die
Knöchel meiner Hand werden weiß, so bestimmt und felsenfest gewillt
bin ich jetzt, mein Schicksal doch selbst in die Hand zu nehmen.
Nein,
ich bin dem Regen nicht schutz- und willenlos ausgeliefert!
Ich
habe eine Wahl!
Was ich
damit anfange, ist das Entscheidende.
Und
irgendwo in mir muss die dafür notwendige Willenskraft schlummern.
Denn
warum sonst besitze ich neben dem in meiner Tasche gleich noch fünf
andere Regenschirme, wenn nicht tief in meinem Innern eine gewisse Hoffnung
läge, dass ich dem Unwetter zu trotzen vermag?!
Zudem
sind die Schirme nicht einmal bloß grau oder schwarz, sondern gelb,
türkis, pink und rot.
Das ist
nicht allein Hoffnung. Da versteckt sich eine feste, kleine
Zuversicht, würde ich sagen!
Manchmal
habe ich das Gefühl, sie taucht ganz unvermittelt in mir auf, sieht
aus wie ein winziger, lebendiger Funke mit Schalk in den Augen. Sie
grinst dem Pessimist in meinem Kopf entschlossen unverschämt
entgegen. Dann steht er da, wird immer kleiner mit seinem großen,
schwarzen Hut. Weiß nichts zu sagen und schweigt für ein paar
Minuten.
Das
sind die kostbaren Momente, nach denen ich greife, sie aber doch nie
ganz und gar zu fassen bekomme um sie etwas länger als einen Tag
festzuhalten.
Aber aus diesem Hoffnungsfunken kann ein Feuer werden.
Daran
will ich glauben.
Daran
muss ich glauben.
...
Während
ich langsam weitergehe, zieht die Wolke mit mir mit. Sie lässt nicht
einfach ab.
Doch
ich bin gewappnet. Meine Hand ist bereit.
Der
Knauf ist umschlossen, ein Finger am Abzug der Automatiktaste.
Es kann
beginnen.
...
Tropfen
fallen mir ins Gesicht. Kalt und verhöhnend prallen sie auf und
hinterlassen ihre dreckige Spur auf meinen Wangen. Meine Frisur
beginnt sich aufzulösen. Hässliche Flecken zeichnen sich auf meinen
Kleidern ab. Die Farben leuchten schon lange nicht mehr.
Langsam
ziehe ich den Schirm heraus. Ich lasse mir Zeit.
Als ob
etwas in mir noch kämpfte, das einzig Richtige zu tun.
Werde
ich mich doch noch davon abbringen lassen?
Ich
zögere.
Dann,
als ob ich spürte, dass das Unwetter mich bald vollends mit seinen
Fluten bezwingen würde,
strecke
ich den Schirm nach vorn. Abzug gedrückt. Grün schnellt hervor.
Elegantes Aluminium bahnt sich unbeirrt den Weg zu seiner Bestimmung.
Ich
strecke meinen Arm nach oben, den Knauf noch immer fest umschlossen.
Unerbittliche,
grausame Ströme prasseln jetzt zornig auf mich herab.
Sie
wollen mich niederregnen und zerstören.
Doch
der Regen hat seine Kraft verloren.
Er
trifft mich nicht mehr.
Denn
ich trage meinen Schirm weit geöffnet.