Samstag, 16. August 2014

Der Schirm


Es ist die letzten Monate viel los gewesen. Violetta und ich mussten uns von einem Onkel verabschieden. Eine traurige Sache. Mit unter kommt es einem komisch vor, dass die Welt sich immer so hübsch weiterdreht. Aber sie ist ja auch bloß ein Lava-Klumpen mit Kruste. Sie kann nichts dafür. ... Wie auch immer, ... Die Sommerferien kamen ungewöhnlich schnell angedüst. Da Violetta deshalb ziemlich viel unterwegs ist, unter anderem um Mrs Plumcake einen Besuch abzustatten, gebe ich  mal einer ganz anderen Geschichte Raum. Sie hat sogar einen eigenen Titel bekommen. ... Für all die Menschen, die meist genau wissen, wann er zu benutzen ist, aber manchmal länger als Ihnen gut tut, zögern, es auch zu tun. 

Der Schirm

Es ist schon seltsam. Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Das kann durchaus befreiend sein. Aber es ist auch beängstigend. Denn wenn man weiß, dass man nichts weiß, fühlt man sich mit unter verloren in tausenden von Möglichkeiten. Wie um alles in der Welt soll man richtig wählen, wenn man von Nichts eine Ahnung hat?!
Das ist das Dilemma in dem ich mich gerade befinde.
Eine große dicke Wolke hat sich über mir festgehangen, wartet darauf, auf mich niederzuregnen und ich beginne beinah schon, mich für die kalte Nässe zu bedauern, die mir droht.
Wobei sich in mir leiser Widerstand regt, denn meine Finger tasten langsam nach dem Knauf in meiner Tasche. Ja, ich habe ihn dabei. Es gibt ihn, den Regenschirm, der mich vor durchgeweichten Klamotten bewahren kann.
Habe ich auch den Mut, ihn zu benutzen?
Will ich das überhaupt?
Immerhin könnte es ja sein, dass mich jemand besonders bedauernswert findet, mit den triefenden Haaren und den tropfenden Kleidern. Dann winkt mich diese Person möglicherweise heran, lädt mich ein, mich im Haus etwas aufzuwärmen und ich verbringe die nächsten Stunden wohlig eingehüllt vor dem Kaminfeuer.
Nur sagt mir eine innere Stimme, dass an dieser Vision etwas faul ist.
Wer will schon freiwillig nass werden? … Das ist ein bisschen krank, finde ich. -
Die Knöchel meiner Hand werden weiß, so bestimmt und felsenfest gewillt bin ich jetzt, mein Schicksal doch selbst in die Hand zu nehmen.
Nein, ich bin dem Regen nicht schutz- und willenlos ausgeliefert!
Ich habe eine Wahl!
Was ich damit anfange, ist das Entscheidende.
Und irgendwo in mir muss die dafür notwendige Willenskraft schlummern.
Denn warum sonst besitze ich neben dem in meiner Tasche gleich noch fünf andere Regenschirme, wenn nicht tief in meinem Innern eine gewisse Hoffnung läge, dass ich dem Unwetter zu trotzen vermag?!
Zudem sind die Schirme nicht einmal bloß grau oder schwarz, sondern gelb, türkis, pink und rot.
Das ist nicht allein Hoffnung. Da versteckt sich eine feste, kleine Zuversicht, würde ich sagen!
Manchmal habe ich das Gefühl, sie taucht ganz unvermittelt in mir auf, sieht aus wie ein winziger, lebendiger Funke mit Schalk in den Augen. Sie grinst dem Pessimist in meinem Kopf entschlossen unverschämt entgegen. Dann steht er da, wird immer kleiner mit seinem großen, schwarzen Hut. Weiß nichts zu sagen und schweigt für ein paar Minuten.
Das sind die kostbaren Momente, nach denen ich greife, sie aber doch nie ganz und gar zu fassen bekomme um sie etwas länger als einen Tag festzuhalten.
Aber aus diesem Hoffnungsfunken kann ein Feuer werden.
Daran will ich glauben.
Daran muss ich glauben.
...
Während ich langsam weitergehe, zieht die Wolke mit mir mit. Sie lässt nicht einfach ab.
Doch ich bin gewappnet. Meine Hand ist bereit.
Der Knauf ist umschlossen, ein Finger am Abzug der Automatiktaste.
Es kann beginnen.
...
Tropfen fallen mir ins Gesicht. Kalt und verhöhnend prallen sie auf und hinterlassen ihre dreckige Spur auf meinen Wangen. Meine Frisur beginnt sich aufzulösen. Hässliche Flecken zeichnen sich auf meinen Kleidern ab. Die Farben leuchten schon lange nicht mehr.
Langsam ziehe ich den Schirm heraus. Ich lasse mir Zeit.
Als ob etwas in mir noch kämpfte, das einzig Richtige zu tun.
Werde ich mich doch noch davon abbringen lassen?
Ich zögere.
Dann, als ob ich spürte, dass das Unwetter mich bald vollends mit seinen Fluten bezwingen würde,
strecke ich den Schirm nach vorn. Abzug gedrückt. Grün schnellt hervor. Elegantes Aluminium bahnt sich unbeirrt den Weg zu seiner Bestimmung.
Ich strecke meinen Arm nach oben, den Knauf noch immer fest umschlossen.
Unerbittliche, grausame Ströme prasseln jetzt zornig auf mich herab.
Sie wollen mich niederregnen und zerstören.
Doch der Regen hat seine Kraft verloren.
Er trifft mich nicht mehr.
Denn ich trage meinen Schirm weit geöffnet.


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