Heute war ein wunderbarer Herbsttag.
Natürlich habe ich diesen Tag genutzt, um mit Violetta die Spätsommersonne zu genießen.
Wir gingen geradewegs in den Park und sammelten alle möglichen Herbstutensilien, als Violetta plötzlich innehielt und wieder mit diesem ganz besonderen Blick schaute. Ich kenne diesen Blick schon etwas länger: Das würde kein gewöhnlicher Nachmittag werden.
Violetta schaute in Richtung Stadt. Irgendetwas hatte sie entdeckt. Ich beobachtete eine alte Dame, die ein paar Kisten entgegennahm. Sie trug eine kurze Bobfrisur. Ihre grauen Haare ließen sich vermutlich nur schwer bändigen, denn immer wieder wirbelten zwei Strähnen vergnügt in ihrem Gesicht herum. Der Wind nutzte dabei auch seine Gelegenheit, ordentliches Haar-Durcheinander zu veranstalten. Aber die alte Dame schüttelte diese „Herbstfrechheiten“ mit einem freundlichen Lachen ab. Sie stellte die Kisten im Eingang ihres Ladens ab und strich abschließend ihr marineblaues Kleid glatt. Es war einfach geschnitten, hatte einen runden Ausschnitt, der beinah vollständig von einem großen roten Strickschal verdeckt wurde. Neben dem dicken Schal sah die Ansteck-Rose noch zierlicher aus, fand ich.
Violetta unterbrach meine Gedanken und meinte: „Was wohl in diesen Holzkisten ist, die die alte Dame gerade bekommen hat?“ Und noch ehe ich etwas darauf erwidern konnte, lief sie geradewegs auf den kleinen Laden der alten Lady zu.
Eine Ladenklingel der alten Schule kündigte unser Kommen an. Ich liebe diese alten Ladenklingeln, sie klingen voller Seele und verheißen, dass es dem Besitzer noch um die Menschen geht, die über seine Ladenschwelle treten.
In diesem Fall hieß uns die Besitzerin nun herzlich willkommen. Wir sollten uns gerne in Ruhe umsehen und auf jeden Fall eine Weile bleiben, mit den anderen Besuchern reden, - sie müsse „leider gleich wieder nach hinten“.
Es gab hier wahrlich Einiges zu sehen. Violetta verschwand umgehend in den Abenteuertiefen dieses bisher unbekannten Reiches. Ich entdeckte derweil warmherzige Näharbeiten voller Details, handgeschöpftes und bedrucktes Papier, die ein oder andere kleine Antiquität, einen liebevoll restaurierten Stuhl. Die Mitte des Raumes dominierte ein ausladendes Gebilde, wie ein Baum, der allerdings keine gewöhnlichen Blätter trug. Er war geschmückt mit beschriebenen Papierstreifen, Stoffschleifen, Mini-Briefumschlägen, kleinen Täschlein bis hin zu verschiedensten Gegenständen. Da hing die Babyvariante unseres Holzschaukelpferds, eine kleine Stoffpuppe, ein Spielzeug-Zebra, ein kleiner roter Blecheimer und ein weißes Glöckchen. Was hatte es wohl damit auf sich?
Gerade wollte ich jemanden danach fragen, da hörte ich das Rufen der Kuckucksuhr. Alles bisherige Gemurmel verstummte. Aus dem hinteren Teil des Ladens hörte man ein letztes „Pssssst“.
Bisher hatte ich die kleine Gruppe weißer Holzmöbel noch gar nicht wahrgenommen. An den verschiedenen Tischen saßen Eltern mit wohlerzogenen Kindern, ein weißhaariger Mann, der noch älter als das Mobiliar zu sein schien und eine handvoll Zwölfjähriger. Alle blickten voller Erwartung auf eine schwere Holztür mit Glasbullauge.
Violetta hatte bereits eine Freundin gefunden, wie selbstverständlich saß sie neben einem braun-gelockten Mädchen. Ihr Ringelshirt war auffallend groß, steckte aber halbwegs im Jeansbund, der von breiten Hosenträgern in Position gehalten wurde. Beide schauten gespannt zur Tür. Offenbar schien ich die einzige im Raum zu sein, die nicht wusste, worauf alle warteten.
Dann endlich öffnete sich die Tür. Die Kinder jubelten und klatschten. Die alte Dame hielt ein riesiges Blech dampfenden Plaumenkuchens vor sich. Das war also der angenehme Duft, der hier schon die ganze Zeit in der Luft herumschwirrte. Das Blech wurde auf dem größten Tisch im Raum abgestellt. Ein Gedränge war das plötzlich um mich herum. Die alte Dame hatte augenscheinlich ihre Freude daran. „Erst die Kinder, dann die Erwachsenen. Bitte alle in einer Reihe. Jaja, es bekommt jeder ein Stück ab. Ich habe ja auch noch mehr im Ofen!“ Bald hörte man nur noch das Schmatzen der Kinder beim Pflaumenkuchen essen. Pflaumenkuchen mit einer dicken Portion Sahne. Und auch ich saß da mit meinem Pflaumenkuchen. Als ich zu Violetta hinüberblinzelte, musste ich lächeln. Ich machte es wie sie: Augen zu, Mund auf, Pflaumenkuchen rein, so richtig genießen. Da zog es einen förmlich in die eigene Kindheit zurück. Was für ein Traum!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen